Mit seinen rund 400 ethnischen Gruppierungen ist das Leben in Nigeria von großer kultureller Vielfalt geprägt; Bereicherung und Konfliktpotenzial zugleich. Auch die religiöse Aufgliederung der Bevölkerung, die sich zu 50 % aus Muslimen im Norden und zu 45 % aus Christen im Zentrum und Süden zusammensetzt, führt regelmäßig zu Spannungen und Konflikten innerhalb der Bevölkerung.
Anteil alphabetisierte Erwachsene
51,1% (2019, HDR)
Bedeutende Religionen
Islam (ca. 50 %) und Christentum (ca. 45 %)
Städtische Bevölkerung
50,3% (2019, HDR)
Lebenserwartung (w/m)
55,2 / 53,5 Jahre (2019, HDR)
Anzahl der Geburten
5,39 /pro Frau (geschätzt 2018)
Kindersterblichkeitsrate
64,6 / 1000 (2019, HDR)
Makrosoziale Struktur
Ethnizität und Nationalbewusstsein
Nigeria ist ein Vielvölkerstaat. Mehr als 400 unterschiedliche Sprach- und Volksgruppen verteilen sich auf die verschiedenen Regionen des Landes. Die größten ethnischen Gruppen sind:
- die Hausa-Fulani (33 %) im Norden,
- die Yoruba (21 %) im Südwesten
- die Igbo (18 %) im Südosten.
Die Minderheiten, «Minority Groups», umfassen u.a.:
- die Kanuri (4 %) im Nordosten,
- die Nupe (1,7 %) und Tiv (2,5 %) im Mittelgürtel «Middle Belt»,
- die Edo (3,4 %) im Südwesten sowie die Ijaw (10 %)
- die Ibibio (3,4 %) im Südosten.
Die ethnische Zugehörigkeit spielt in Nigeria eine große Rolle. Die meisten Nigerianer identifizieren sich eher mit ihrer ethnischen Zugehörigkeit als mit ihrer Nationalität. Das nationale Bewusstsein der Nigerianer ist nur schwach ausgeprägt, ein Einheitsgefühl als «One Nigeria» ist kaum vorhanden. Stattdessen bestimmen die regionalen Interessen, die ethnische Verbundenheit und neuerdings auch der Wohlstand und die religiöse Zugehörigkeit das Bewusstsein der Menschen. Das Problem der Machtverteilung zwischen den Ethnien führt permanent zu Spannungen und Konflikten im Land, da die Minderheiten das politische Gewicht der großen Volksgruppen meist als Dominanz empfinden. Das gesellschaftliche Leben wird durch Machtkämpfe, «Stammesdenken» und religiös bedingte Konflikte beeinträchtigt.
Um dieses Problem anzugehen, hatte der damalige Präsident Goodluck Jonathan im März 2014 in der Hauptstadt Abuja eine Nationalkonferenz einberufen. Dort sollten fast 500 Vertreter aus Politik und Gesellschaft über die Zukunft des Landes beraten und über Themen wie z.B. die Frage der Nationaleinheit, die Machtverteilung zwischen den Ethnien und die bessere Verteilung des Wohlstandes diskutieren und Handlungsempfehlungen erarbeiten. Es bleibt abzuwarten, wie und ob die vorgebrachten Empfehlungen in die Praxis umgesetzt werden. Die vorangegangenen Nationalkonferenzen (1978, 1995 und 2005) blieben ohne sichtbare Erfolge.
Sprachen
Insgesamt werden in Nigeria über 400 Sprachen und weit über 1.000 Dialekte gesprochen. Die Amtssprache des Landes ist Englisch. Die wichtigsten Sprachgruppen und ihre regionale Verteilung sind:
- Hausa-Fulani im Norden
- Yoruba und Edo im Südwesten
- Igbo und Ibibio im Südosten
- Kanuri im Nordosten
- Tiv und Nupe im Middle-Belt
- Ijaw im Nigerdelta.
Als Verkehrssprachen gelten Hausa, Yoruba und Igbo, die Sprachen der drei Hauptvolksgruppen in den jeweiligen Regionen, sowie Pidgin oder Naijá Pidgin, eine Mischsprache aus dem Englischen und verschiedenen Landessprachen in den Ballungszentren Nigerias.
Soziale Lage und Klassen
Die Unterschiede zwischen Armen und Reichen in Nigeria sind nach wie vor sehr groß. Laut «World Poverty Clock» von 2018 hat die extreme Armut in den letzten Jahren weiter zugenommen. Damit hat Nigeria heute Länder wie Indien und die D.R. Kongo in Sachen Armut überholt. Über 82 Millionen Nigerianer leben heute unterhalb der Armutsgrenze – Tendenz steigend.
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50% geschätzt. Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als «self-employed» suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an.
Jedes Jahr werden Zehntausende von Menschen aus Nigeria verschleppt, insbesondere aus dem Bundesstaat Edo im Süden des Landes, der sich zu einem der größten Ausgangspunkte für irreguläre Migration in Afrika entwickelt hat. Die Internationale Organisation für Migration (IMO) schätzt, dass 91% der Opfer des Menschenhandels aus Nigeria Frauen sind, und ihre Menschenhändler haben mehr als die Hälfte von ihnen sexuell ausgebeutet. 2020 wurde dem Schicksal dieser Frauen in dem Netflix-Film Oloture unter der Regie des preisgekrönten nigerianischen Filmemachers Kenneth Gyang ein Gesicht und eine Stimme gegeben. Das Portal NAPTIP bietet ausführliche Informationen zum Thema Menschenhandel in Nigeria.
Neben den vielen in Armut lebenden Menschen findet man in Nigeria auch einige sehr Reiche. So gilt der Nigerianer Aliko Dangote mit einem Vermögen in Höhe von 14,1 Mrd. US-Dollar 2018 als der reichste Mann Afrikas.
Stadt-Land-Verhältnis
Seit dem Ölboom in den 1970er Jahren ist die Zahl der Einwohner/innen in den Großstädten Nigerias sprunghaft angestiegen. Die Urbanisierungsrate beträgt 49,5 %. Immer mehr Menschen strömen auf der Suche nach besseren Verdienstmöglichkeiten in die Großstädte.
Trotz des von der Obasanjo-Administration (1999 – 2007) aufgelegten Reformprogramms zur Wiederbelebung der Landwirtschaft, ist die Armut in den ländlichen Gebieten nach wie vor größer als in den städtischen Ballungsgebieten. Insbesondere die jungen Menschen sehen in der Landwirtschaft weder ausreichende Verdienstmöglichkeiten noch Perspektiven. Außerdem wurde seit dem Ölboom fast ausschließlich in die Modernisierung der Großstädte investiert, während die ländlichen Gebiete vernachlässigt werden.
Geschlechterverhältnis
Obwohl die nigerianische Verfassung von 1999 die Gleichheit der Geschlechter garantiert, sieht die Wirklichkeit anders aus. Von dem – von der Obasanjo-Regierung in der «National Policy on Women» 2002 formulierten – Ziel, den Frauenanteil im Parlament um 30 % anzuheben, ist Nigeria auch heute noch weit entfernt. Bei den Parlamentswahlen 2019 wurden lediglich sieben weibliche Senatorinnen von insgesamt 109 in das nigerianische Oberhaus, den Senat, gewählt. Zudem bot der neue Präsident Buhari nur sieben Frauen einen der 43 Ministerposten an. Damit ist Nigeria – auch im Vergleich mit anderen westafrikanischen Ländern – mit einem Anteil von nur 5,6 % Frauen im Parlament in puncto Gleichberechtigung vergleichsweise schlecht aufgestellt. Laut Global Gender Gap Report von 2020 steht Nigeria auf Platz 128 von 153 untersuchten Ländern und schneidet damit vergleichsweise schlecht ab.
Innerhalb der ländlichen Bevölkerung ist das Geschlechterverhältnis eindeutig, da das Leben immer noch stark von traditionellen Gesetzen und Praktiken bestimmt wird. Allerdings gibt es – je nach ethnischer Zusammensetzung, religiöser Zugehörigkeit und Region – große Unterschiede.
Eine Vielzahl von Frauenorganisationen engagiert sich in Nigeria für die Gleichstellung der Geschlechter.
Ende 2016 lehnte der Sultan von Sokoto, das geistige Oberhaupt aller Muslime in Nigeria, einen Gesetzesentwurf zur Gleichstellung ab. Dieses zielte darauf ab, dass Männer und Frauen zukünftig im Erbrecht gleichgestellt sein sollten. Der Sultan von Sokoto begründete seine Ablehnung mit dem Hinweis, dass dieser Entwurf gegen das islamische Gesetz verstoße, nach dem den Männern beim Erbrecht der Vorzug gegeben werden sollte.
43 % der nigerianischen Mädchen und Frauen werden vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, 17 % bereits vor ihrem 15. Geburtstag. Die Kinderehe wird in der nigerianischen Öffentlichkeit zunehmend kritisch diskutiert. Zahlreiche Proteste formieren sich derzeit gegen die Verheiratung von Kindern, die noch weit verbreitet ist.
Sexuelle Belästigung ist in vielen Bereichen der nigerianischen Gesellschaft allgegenwärtig. In den Hochschulen nutzen viele Hochschulprofessoren bspw. ihre Macht aus, um Studentinnen sexuell zu nötigen. Nach einem BBC-Bericht werden Studentinnen z.B. von hochrangigen Dozenten an der Universität von Lagos zu sexuellen Handlungen gezwungen, um gute Noten zu erhalten.
Homosexualität ist in Nigeria verboten und steht unter Strafe. 2014 unterzeichnete Präsident Goodluck Jonathan das «Same Sex Marriage Prohibition Act (SSMPA).» Diesem Gesetz zufolge können gleichgeschlechtliche Eheschließungen mit bis zu 14 Jahren Haft strafrechtlich verfolgt werden. Laut einem Bericht von Human Rights Watch, der im Oktober 2016 veröffentlicht wurde, hat das Gesetz zu einer weiteren Stigmatisierung von Lesben und Schwulen in Nigeria geführt. Diese werden oftmals von der Polizei schikaniert und misshandelt und von der Bevölkerung gemobbt und per Selbstjustiz verfolgt. Auch die anglikanische Kirche in Nigeria verurteilt Homosexualität öffentlich als «Gift für die Gesellschaft», die zum Verfall der gesellschaftlichen Werte und Kultur beitrage. Laut einer Studie vom Januar 2017 lehnen mehr als 90% der Nigerianer Homosexualität ab. Die Studie stellt jedoch auch fest, dass die Anzahl derjenigen Nigerianer, die der Homosexualität gegenüber tolerant eingestellt sind, in den letzten Jahren leicht zugenommen hat.
Rund 25 % der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren sind in Nigeria beschnitten. Am 05. Mai 2015 verabschiedete das nigerianische Oberhaus, der Senat, ein Gesetz zum Verbot der weiblichen Genitalverstümmelung «Female genital mutilation (FGM)». Mit dem Gesetz, das im Juni 2015 in Kraft getreten ist, hat die nigerianische Regierung unter dem scheidenden Präsident Goodluck Jonathan den historischen Schritt zur Ächtung der Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung unternommen.
Bildung
Das Bildungssystem in Nigeria orientiert sich am britischen Vorbild und wird koordiniert vom nigerianischen Bildungsministerium. Schulbildung wird von den Menschen als Voraussetzung für einen schnellen wirtschaftlichen Aufstieg angesehen. Das Bildungssystem basiert auf dem so genannten 6-3-3-4-Prinzip: Für Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren besteht Schulpflicht. Der Schulbesuch für die Grundschule und die untere Sekundarschule (JSS) ist gebührenfrei.
Die weiterführenden Schulen sind kostenpflichtig, sodass viele Familien es sich nicht leisten können, ihre Kinder in die Schule zu schicken.
Zudem gibt es viele Schulen unter kirchlicher Trägerschaft, die ebenfalls kostenpflichtig sind. Im islamischen Norden gibt es darüber hinaus zahlreiche Koranschulen, in denen die Lehre des Korans bzw. das allgemeine Wissen über den Islam vermittelt wird. Für viele Familien im Norden des Landes sind die Koranschulen die einzige Möglichkeit, Zugang zu erschwinglichen Bildungsangeboten für ihre Kinder zu erhalten.
Neben den drei ältesten Universitäten – University of Ibadan (UI), University of Nigeria (UNN), Nsukka und Ahmadu Bello University (ABU), Zaria – verfügt Nigeria über zahlreiche staatliche, bundesstaatliche und private Universitäten. Zudem gibt es eine Vielzahl an Hoch- und Fachhochschulen, die sich überwiegend im Süden des Landes befinden.
Das nigerianische Bildungssystem
In den 29 Jahren Militärherrschaft (1966-1979 und 1983-1999) wurde das Bildungssystem stark vernachlässigt. Dadurch entwickelten sich erhebliche Defizite. Seit der Rückkehr zur Demokratie 1999 haben die Regierungen Obasanjo (1999-2007), Yar `Adua (2007-2010), Jonathan (2010-2015) und Buhari versprochen, sich für die Verbesserung der Bildung in Nigeria einzusetzen, aber nur wenig umgesetzt.
Folge: Die Bildungsangebote auf den drei Ebenen des nigerianischen Bildungswesens (primär,
sekundär und tertiär) sind qualitativ unzureichend. Nicht nur, dass sich die Ausstattung der Schulen
landesweit in einem katastrophalen Zustand befindet, in vielen Schulen mangelt es sogar an
Unterrichtsräumen. Vor diesem Hintergrund haben die Privatschulen im Land einen hohen Zulauf.
Diese können sich allerdings nur wohlhabende Familien leisten.
Ein Großteil der staatlichen und bundesstaatlichen Universitäten befindet sich ebenfalls seit Jahrzehnten in einem prekären Zustand. Die fehlende Finanzierung der Infrastruktur und des Personals haben zu einem steten Niedergang der weiterführenden Bildungsinstitutionen geführt. Die mangelnde Infrastruktur und die schlechte Bezahlung des Lehrpersonals sind wiederum Ursache für häufige Streiks der Hochschullehrer/innen, die damit auf die prekäre Situation aufmerksam machen möchten und sich für eine bessere Bezahlung sowie bessere Studienbedingungen einsetzen. Die Streiks führen oft zu wochenlangen bzw. monatelangen Ausfällen der Lehrveranstaltungen und wirken sich damit zusätzlich negativ auf die Qualität der Hochschulbildung in Nigeria aus.
Ein Bericht von World Education Services (WES) macht in einer ausführlichen Bestandsaufnahme auf den prekären Zustand der Bildung in Nigeria aufmerksam. Dabei gibt es konkrete Vorschläge, wie die Qualität der Hochschulbildung in Nigeria verbessert werden könnte: Dazu gehören z.B. die Aufstockung der Haushaltsmittel im Hochschulbereich, eine intensive Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Hochschulsektor sowie eine Verbesserung der Beziehungen zu den Gewerkschaften, insbesondere zur Akademischen Personalunion der Universitäten.
Die Texte stammen vom Länderportal der GIZ, welches vom Netz genommen ist. Verfasser ist Emmanuel I. Ede. Die Urheber wurden informiert, dass auf meiner Tourismusseite für Nigeria die Inhalte veröffentlicht werden.